Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Operation
geplünderter Wald
Die Raubfäller
im Regenwald glauben, man könne ihnen nichts nachweisen. Ihre Camps
liegen tief im Dschungel, Polizisten und Zöllner sind bestochen, die
Rechtslage ist verworren - und internationale Kunden profitieren
davon. Doch die verdeckten Ermittler einer kleinen Naturschutzgruppe
sind den Plünderern auf der Spur. Ein GEO-Team hat sie in Madagaskar
begleitet
Philip Kohlhöfer,
GEO 01.04.2010
Um eine glaubwürdige
Legende aufzubauen, hatte der Mann uns zuvor gesagt, müsse man nah
an der Wahrheit bleiben. Sonst laufe man Gefahr, sich zu verhaspeln.
Und so versucht er am Anfang des Gesprächs, nur wenig zu lügen.
Es habe einige Zeit
gedauert, sagt er seinem Gegenüber, bis er gewusst habe, was aus
seinem Leben werden solle. Er mustert den Mann auf der anderen Seite
des Schreibtisches, gibt sich entspannt, plaudert. Bei der
US-Eliteeinheit Marines sei er gewesen, habe Soldat werden wollen.
Vielleicht, um die Last seiner berühmten Familie abzuwerfen, die er
manchmal als bedrückend empfinde.
So weit, so korrekt.
Auf einer Reise sei
ihm dann klar geworden, dass er einen Beruf suche, in dem er der
Natur nah sein könne. Und was gebe es natürlicheres als Bäume?
Der Erzähler trägt
Lederschuhe und Anzughose, sein Hemd ist bis zum obersten Knopf
zugeknöpft, und obwohl die Sonne mit tropischer Wucht vom Himmel
brennt und die feuchtheiße Luft zwischen den mit dunklem Rosenholz
getäfelten Wänden des Büroraums steht, schwitzt er nicht. Auch
dann nicht, als er mit den Unwahrheiten beginnt: Seither handle er
eben mit Holz. Er beliefere die Hersteller von Musikinstrumenten mit
bester Qualität. Das sei es auch, was er in Madagaskar suche. Der
Mann faltet die Hände vor dem Bauch wie zum Gebet. „Die beste
Qualität.“
Wie war noch gleich
Ihr Name, fragt sein Gegenüber.
Alexander von
Bismarck, Biologe, 37 Jahre alt, Chef der Washingtoner
Umweltschutzgruppe Environmental Investigation Agency (EIA), schiebt
eine Visitenkarte über den Schreibtisch. Darauf steht: „Thomas C.
Bolton, President. Nexis Trading.“
Der Fotograf Toby
Smith und ich reden so wenig wie möglich. „Thomas C. Bolton“ hat
uns dem madagassischen Geschäftsmann als seine Kunden vorgestellt,
Gitarrenbauer, die mit ihm auf die Suche nach dem besten Material
gegangen sind. Die Wahrheit: Wir begleiten Alexander von Bismarck bei
seiner Undercover-Aktion und wollen verfolgen, wie er den illegalen
Handel mit bedrohten Hölzern dokumentiert.
Bismarck dreht nun
ebenfalls eine Visitenkarte seines Gegenübers zwischen den Fingern.
„Roger Thunam“ steht darauf, „Vanillehändler.“ Vanille? Der
mächtige Boss der Holzmafia in Nordmadagaskar lacht. Vor der Tür
stehen zwei Leibwächter. Thunam fühlt sich sicher. Doch alles, was
er sagt, wird gefilmt. Denn „Bolton“ trägt eine versteckte
Kamera.
Roger Thunams Büro
in Antalaha ist ein Zentrum für das größte illegale Geschäft des
Landes. Thunam und seine Leute fällen und verkaufen Edelholz. Vor
allem Rosenholz, ein Sammelbegriff für mehrere vom Aussterben
bedrohte Arten aus der Gruppe der Palisanderhölzer. Und Ebenholz,
hervorragend geeignet für den Bau von Musikinstrumenten. Von 103
Ebenholzarten gelten nur zwei als nicht bestandsgefährdet.
Roger Thunam
verstößt mit seinen Geschäften seit Jahren gegen die Gesetze
seines Landes. Schon im Jahr 2000 hat die Regierung von Madagaskar
das Fällen von Rosenholz und Ebenholz in „sensiblen Zonen“
verboten; ohnehin kommen die Bäume längst fast nur noch in den
Nationalparks vor. Doch seit dem Sturz des gewählten Präsidenten im
März 2009 ist der korrupte Staatsapparat fast völlig
zusammengebrochen. Auf Madagaskar wird so viel Holz gefällt wie nie
zuvor. Oft wird es als Sturmbruchholz oder alter Lagerbestand
deklariert, für deren Verkauf es begrenzte Ausnahmegenehmigungen
gibt. Ein Nationalparkdirektor spricht vom „Drehtüreffekt“:
Sobald Teile des alten Bestandes verkauft sind, füllen die Sägewerke
die Lücken im Lager heimlich mit frisch geschlagenem Holz auf –
und erklären dies dann erneut zum Altbestand.
Ein Bericht zweier
internationaler Naturschutzorganisationen, der in Zusammenarbeit mit
der madagassischen Forstbehörde erstellt wurde, sieht zudem
Anzeichen für „geheime Absprachen zwischen Exporteuren und
Strafverfolgern“. Umweltschützer um eine ehemalige hohe
Mitarbeiterin des madagassischen Wirtschaftsministeriums haben Belege
für erhebliche Schmiergeldzahlungen gesammelt. Inzwischen laufen
Bestellungen für bedrohte Hölzer sogar im Lokalradio: Zwischen zwei
Musiktiteln verkündet der Moderator, wer wie viel Rosenholz oder
Ebenholz benötigt und wo es übergeben werden soll.
Roger Thunam
beteiligt sich nicht an solch geringfügigem -Geschacher. Er hat
eigene Holzfällertrupps, die er für seine internationalen Kunden in
den Wald schickt. Zu befürchten hat er dabei wenig. Sobald die
Stämme das Land verlassen haben, sind sie nach internationalem Recht
„legal“, ganz gleich welchen Schutz sie in Madagaskar genießen.
Denn im CITES-Abkommen, das den zwischenstaatlichen Handel mit Tieren
und Pflanzen beschränkt, haben sich die 175 Unterzeichnerstaaten nur
bei einer Handvoll Bäume auf einen übernationalen Schutzstatus
einigen können. Nur 0,5 Prozent des weltweiten Holzmarktes sind von
den Beschränkungen betroffen. Und nur zwei Holzarten auf der Liste,
Mahagoni und Ramin, sind von kommerzieller Bedeutung. Ebenholz und
Madagaskar-Rosenholz, obwohl unbestritten gefährdet, werden von
CITES nicht berührt.
Die Abnehmer der
Hölzer in Asien oder Europa machen sich nicht strafbar, wenn sie
Besenstiele oder Gartenmöbel aus Rosen- oder Ebenholz herstellen.
Naturschützer können sich zwar ärgern, wenn sie erfahren, dass
gefährdete Arten eingeführt werden – eine Handhabe dagegen haben
sie nicht. Allein Deutschland importiert jährlich sogenanntes
Raubholz aus den Tropen im Wert von einer Milliarde Euro.
Hoffnung stiftet
einzig ein US-amerikanisches Bundesgesetz, das seit 2008 in Kraft
ist: Ein Zusatz zum „Lacey Act“ soll helfen, die letzten
Primärwälder der Erde gegen die Gier der Händler zu verteidigen.
Er verbietet in den USA den „Import, Export, Kauf, Verkauf,
Transport, Erwerb und Zukauf“ von Holz oder Holzprodukten bis hin
zu Papier, wenn das verwendete Holz in seinem Ursprungsland illegal
gefällt wurde. So will der US-Gesetzgeber verhindern, dass illegales
Holz einfach durch Export „gewaschen“ werden kann. Ein Schritt,
zu dem sich kein anderer Staat hat durchringen können.
Nicht nur ein
Verkäufer, der über die illegale Herkunft seiner Ware täuscht,
auch ein Käufer, der sie ignoriert, kann mit bis zu fünf Jahren
Gefängnis bestraft werden – ein revolutionäres Gesetz.
Es waren Alexander
von Bismarck und seine Kollegen von der EIA, die dem Gesetz zum
Durchbruch verhalfen. In jahrelanger Arbeit hatten sie eine
Interessengemeinschaft geschmiedet: aus Umweltschützern, denen die
Wälder am Herzen liegen, und aus Holzfirmen, Sägewerken,
Industrievertretern, denen das illegal geschlagene Holz aus den
Tropen die Preise verdirbt.
Weil Raubfäller
keine Ausgaben für Wiederaufforstung haben und weil sie meist keine
Arbeits- und Umweltschutzauflagen erfüllen, drücken die illegal
gefällten Bäume den Weltmarktpreis für Holz um bis zu 16 Prozent.
Und weil illegaler
Einschlag mit Korruption und Steuerhinterziehung einhergeht, schätzt
die Weltbank allein den finanziellen Schaden auf 15 Milliarden Dollar
jährlich. „Der Lacey Act“, sagt Bismarck, „ist der größte
Naturschutzerfolg seit Jahren in den USA. Wenn er Wirkung zeigt, dann
hat das Vorbildcharakter.“
Doch der Nachweis
einer illegalen Herkunft von Holzprodukten ist schwierig. Deshalb hat
der Lacey Act bislang in keinem Fall zur Anklage geführt – dabei
stammen Schätzungen zufolge zehn Prozent des in die USA importierten
Holzes aus illegalen Quellen (in Europa laut EU-Kommission sogar eher
20 Prozent).
Und genau deshalb
ist Alexander von Bismarck nach Madagaskar gereist: Er will Beweise
-suchen, Aussagen aufzeichnen, Fotos und GPS-Daten von
Holzfällercamps sammeln, Frachtpapiere einsehen. Alles in einen
Zusammenhang bringen, vom Regenwald in Madagaskar bis zu Kunden in
den USA. Er will, dass nach dem Gesetz, für das er gekämpft hat,
endlich jemand bestraft wird.
Das Büro des
Edelholz-Dealers ist düster. Paneele und Parkett, Schnitzereien auf
allen Regalen – überall ist so viel Holz, dass man das Gefühl
hat, man sitze in einem Baumstamm. Neben dem Schreibtisch hängt ein
Kalender, das Bild zeigt eine gotische Kirche irgendwo in
Deutschland. „Theodor Nagel“ prangt in großen Buchstaben
daneben. Darunter ist eine Weltkugel abgebildet und das Wort „Holz“
in fünf Sprachen.
Die
Geschäftsbeziehung mit den Deutschen, sagt Thunam stolz, bestehe
seit mehr als zehn Jahren. Für manche Edelhölzer habe man sogar
eine Exklusiv-Vereinbarung getroffen.
Die Firma Nagel ist
Großhändler im Hamburger Hafen. Im November 2009 bot sie als
Sonderangebot „Madagaskar Palisander“ an, perfekt, um etwa das
Griffbrett von Gitarren herzustellen. Unter ihren Kunden ist auch die
amerikanische Gitarrenfirma Gibson – die, falls sie illegales Holz
kauft, gegen den Lacey Act verstößt. Ebenso wie Nagels Vertreter in
den USA. Nach Recherchen der EIA hat Thunam im März 2009 einen
Container Ebenholz nach Hamburg geschickt. Der Holzhändler Nagel
verkaufte madagassisches Ebenholz dann an Gibson weiter. Auf
Nachfrage von GEO beteuert die Firma Nagel, alles von ihr importierte
Holz sei legal. Exportpapiere und eine Konzession zum Einschlag
außerhalb der Nationalparks habe man geprüft. Von dubiosen
Machenschaften des langjährigen Partners wisse man nichts.
Ob sich andere
Einkäufer auch so sehr für die Qualität von Thunams Hölzern
interessieren, will von Bismarck alias Bolton wissen. Es gelingt ihm,
unverfänglich zu klingen. Er ist geübt darin, wichtige Fragen unter
einem Berg von Small Talk zu verstecken. „Der Kunde aus Hamburg“,
sagt Thunam lächelnd und deutet auf den Kalender, „macht es genau
wie Sie: Er war etliche Male hier, um sich alles anzuschauen.“
Roger Thunam bietet
Wasser an, in Plastikflaschen aus dem Supermarkt. Ein Statussymbol,
das ihn als einen Mann ausweist, der etwas zu sagen hat, hier in
einer der ärmsten Regionen der Welt.
Neben dem deutschen
Kalender hängen Urkunden des Staates für Roger Thunams Beitrag zur
Wirtschaftsförderung, Bilder zeigen ihn mit den letzten drei
Präsidenten Madagaskars. Einer hat ihn sogar zum Ritter geschlagen.
Erst am Tag zuvor
ist Thunam aus Antananarivo, der Hauptstadt, zurückgekehrt. Seit dem
Putsch gibt es dort neue Amtsträger, die er überzeugen muss, dass
sein Geschäft Vorteile für alle bringt. In seiner Heimatstadt
bezweifelt das ohnehin niemand. Als Thunam am Flughafen ankam,
bildeten sich Menschentrauben, wo immer er stand. Man steckte ihm
Zettel zu, Dankesschreiben von Menschen, denen er irgendetwas bezahlt
oder einen Job vermittelt hat. Das Getränk an der Bar im Terminal
bezahlte er nicht.
Thunam stützt seine
Ellbogen auf dem Schreibtisch ab: „Für wie viel Dollar wollen Sie
Ebenholz kaufen, Mr. Bolton?“
„Vielleicht
für 50 000, mal sehen“, sagt von Bismarck.
Kein Riesendeal.
Aber Roger Thunam, obwohl reich, das halbe Dorf auf der Lohnliste,
ein Haus in Frankreich, eines in China, die Kinder auf einem
französischen Internat, dreht seinen Kopf, so, als könne er die
Zahl noch einmal hören, wenn er seine Ohren nur nahe genug an die
Lippen seines Gegenüber bringen könnte.
Er nickt. Natürlich
dürfe sich Mr. Bolton im Lager umschauen, die Qualität begutachten,
gleich hier, vor dem Büro. Nur ein paar Schritte entfernt liegen
rund 6000 Edelholzstämme. Aber Holz in einem Hinterhof zu sehen, das
nutzt Bismarck nichts. Er muss in den Nationalpark, um beweisen zu
können, dass Thunam dort Holz schlagen lässt. Bismarck verweist auf
uns, seine „Gitarrenbauer“, zuckt die Achseln. Das seien eben
komische Typen, er lacht, die müssten die Qualität des Holzes am
Baum sehen, wollten wissen, wo es wachse, wie es sich nass und
trocken verhalte...
Thunam nickt. Das
beste Holz, sagt er, wachse in den Bergen.
Im
Masoala-Nationalpark?
Er windet sich. Er
sei nur Händler, woher das Holz genau komme, sei ihm egal. Dann
stockt er. Seine Miene verkrampft. Mit einem Ruck steht er auf.
„Warum fragen Sie eigentlich so viel?“ Thunam spuckt den Satz
mehr aus, als dass er ihn spricht. „Warum fällt mir das erst jetzt
auf? Sind Sie nicht dieser Umwelt-Typ?“
Die Leibwächter vor
der Tür sehen in unsere Richtung. Der Fotograf und ich würden am
liebsten mit dem Boden verschmelzen, hören auf zu atmen, hoffen. Auf
was? Auf von Bismarck. Und der bleibt ungerührt: „Nein, Sie müssen
mich verwechseln.“
Und als habe man
einen Schalter umgelegt, entspannt sich Roger Thunam wieder. Er
entschuldigt sich, die Schwerkraft scheint nun an ihm zu ziehen, er
fällt in den Sessel zurück. „Ihr Weißen seht alle gleich aus“,
murmelt er.
Alexander von
Bismarck leistet sich ein gequältes Lächeln.
„Ich
schicke Leute zu Ihrem Hotel“, sagt Thunam. „Die werden Sie in
die Berge bringen.“
Stille. Nicken. Der
Holzboden knarrt unter dem Gewicht zweier Männer, die aufstehen und
sich die Hände schütteln.
Es ist ein
weltweites Geschäft mit der Natur, gegen das die kleine EIA seit
1984 ankämpft: Gerade mal neun Leute arbeiten für die
Greenpeace-Abspaltung in den USA, ihr Jahresbudget beträgt 900 000
Dollar, es kommt vor allem von Stiftungen wie der Rockefeller
Foundation.
Alexander von
Bismarck, ein entfernter Verwandter von Otto, dem Eisernen Kanzler,
geboren
in München, wegen
seiner amerikanischen Mutter US-Bürger, las 1995 in einer Zeitung
von der -Arbeit der EIA, die damals den Schmuggel mit Elfenbein
dokumentiert hatte. Als er später als Harvard-Biologe in Uganda
arbeitete, hatte Bismarck sein Schlüsselerlebnis: Er forschte am
Nilbarsch, der in den 1960er Jahren im Viktoriasee ausgesetzt worden
war. Der fremde Fisch hatte alle anderen Arten im See dezimiert –
und wurde als Delikatesse nach Europa ausgeflogen, während die
einheimische Bevölkerung Hunger litt. „Da habe ich begriffen, dass
ich nicht einfach als Biologe so tun kann, als sei alles in Ordnung –
während ich an Ökosystemen forsche, die im Begriff sind, zerstört
zu werden.“ Er flog nach London, begann in der EIA-Filiale als
Freiwilliger. Seit 2007 ist er Chef des Washingtoner Büros.
Dem illegalen
Holzhandel spürt er auf der ganzen Welt nach. In China, Honduras und
Russland hat er ermittelt. In Malaysia ist er einmal enttarnt worden
und mit Glück entkommen. Hier ein Beweis, da ein kleiner Erfolg –
alles mit dem Ziel, das globale Netz der Waldplünderer zu enttarnen.
Weltweit dürfte
jeder fünfte Baumstamm illegal geschlagen sein. In Sibirien und
Brasilien sogar 50 Prozent, in Westafrika 70, in manchen Ländern
Asiens 90 Prozent. Satellitenbilder zeigen, dass Fäller in
Indonesien in 37 von 41 Nationalparks aktiv sind.
Die Gewinnspanne ist
enorm. So kostet ein Kubikmeter Merbau-Holz, das fast nur noch in
West-Papua vorkommt, in Indonesien 120 Dollar. In China hat sich der
Preis nach Verarbeitung zu Bodenbelägen verdoppelt. In den USA
kostet dieselbe Menge 2200 Dollar. Rosenholz bringt in Asien sogar
bis zu 5000 Dollar pro Kubikmeter. Allein in Madagaskars
Schutzgebieten werden seriösen Schätzungen zufolge täglich bis zu
250 Kubikmeter davon geschlagen.
Nachrichten für
James Bond, bitte nach dem Signalton.“ Der Besitzer des Telefons,
dessen Nummer wir von einem Kontaktmann Thunams haben, will sich
nicht gleich zu erkennen geben. Bismarck bittet um Rückruf – denn
der Mann soll sich mit Exportgenehmigungen für heikle Waren
auskennen.
Wir laufen die
Hauptstraße von Antalaha entlang, diesem zu groß geratenen Dorf,
das aussieht, als habe jemand die Hütten einfach so über dem öden
Land ausgekippt. Unser Hotel, es heißt Palissandre, ist ein
Treffpunkt
für Holzhändler,
in erster Linie Chinesen. Sie blicken von ihrem Mittagessen auf und
grüßen den Kollegen Bolton. Sie wissen nicht, dass der am Abend
zuvor in der Hotellobby ein Aufnahmegerät hinter der Wandvertäfelung
befestigt hat, um ihre Gespräche aufzunehmen. Wir beobachten, wie
sie mit Türmen aus Bauklötzen spielen, die aus Tropenhölzern
zusammengesetzt sind, beschriftet mit den Namen der Bäume, damit
auch fachfremde Händler erlernen, was Antalaha ihnen für ihr Geld
zu bieten hat.
Am Nachmittag ruft
James Bond zurück. Er will Steve genannt werden. Als Holzhändler
wisse er, wie schwer es sei, gewisse Waren außer Landes zu bekommen.
Für die Papiere, raunt er, müsse man bezahlen. Natürlich. Auch da
spricht Steve aus Erfahrung. Im Hauptberuf ist er Chef der örtlichen
Zollbehörde.
Alexander von
Bismarck sieht auf seine schwere Armbanduhr. Er muss im Büro
anrufen, Bescheid sagen, dass er die nächsten Tage im Wald
verbringt. Wenn seine Kollegen nichts von ihm hören, sollen sie
nicht gleich die US-Botschaft einschalten.
Kaum, dass wir
unsere Sachen gepackt haben, melden sich Thunams Leute vor der Tür.
Sechs Männer mit Macheten sollen uns begleiten. Wir fahren über
eine Straße, die diesen Namen nicht verdient, mehr eine Spur im
Sand. Zebuherden auf der einen und der Indische Ozean auf der anderen
Seite. Es geht Richtung Süden. Richtung Nationalpark.
Der Fahrer hört
Chansons, singt mit, feuert an, mitsingen Monsieur, mitsingen, „Oh,
Champs-Élysées“, während draußen Pick-ups kreuzen, beladen mit
Rosenholz. Er überfährt in kurzer Folge ein Huhn und zwei
Schlangen; sie platzen mit dem Knall eines prallen Luftballons.
Dann kippt die
Straße in einen Fluss. Keine Brücke. Wir müssen warten, bis zwei
Männer mit langen Stöcken eine Fähre angelandet haben. Thunams
Männer essen Käseecken. Sie werfen die Alufolie achtlos ins
Unterholz.
Alexander von
Bismarck, der so kühl geblieben ist, als er im Büro des Mafiabosses
fast enttarnt worden wäre – jetzt wird er unruhig. Müll im Busch.
Er kann das einfach nicht ertragen. Er geht am Ufer auf und ab. Ringt
mit sich. Minutenlang. Soll er das aufheben? Tagelang den Abfall mit
sich herumtragen? Was werden Thunams Leute denken? Schließlich ist
Thomas C. Bolton ein rücksichtsloser Holzdealer, der Wald ist ihm
egal, solange er Geld damit verdienen kann. Er darf nicht aus der
Rolle fallen. „Ach was“, sagt er trotzig zu sich selbst. „Ich
bin eben ein exzentrischer Typ. Ich achte auf die Landschaft und
verkaufe trotzdem Tropenholz.“
Er geht zu der
Gruppe von Männern, redet irgendetwas Unbedeutendes, und nimmt dann,
ganz beiläufig, den Müll mit.
Auf der anderen
Seite des Flusses betreibt ein Militärposten den „letzten
Kühlschrank vor dem Wald“, so steht es auf einem Schild. Zwei
Soldatendarsteller lehnen in zerlumpten Uniformen an einem
Steinhäuschen. Man grüßt sich. Es wäre einfach, an diesem Posten
den Holzschmuggel zumindest aus dem Nationalpark zu unterbinden, von
Nordosten gibt es keine andere Straße in die Masoala-Berge. Der
Kommandant hat sich aber für eine andere Strategie im Umgang mit der
Holzmafia entschieden. „Ich arbeite nicht für die Regierung“,
sagt er. „Ich bin unabhängig.“ Und betrunken.
Dann lässt er uns
durch, hinein in das Gebiet, zu dessen Schutz er abgestellt ist: eine
entwaldete Landschaft, durchzogen vom Geruch von Holzfeuern.
Hektarweise graue Aschefläche sehen wir, aus der manchmal Baumreste
aufragen, an denen Siedler mit Macheten das letzte Holz schlagen, um
es unter einem Reistopf zu verfeuern.
So ist das fast
überall, wo Tropenwälder ausgebeutet werden: Auf den Pfaden der
Holzfäller folgen die Siedler, brennen nieder, was noch steht, um
Äcker anzulegen. Die Brandrodung ist weltweit für fast 20 Prozent
des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Und weil Waldböden zusätzlich
etwa fünf Mal so viel CO2 speichern wie die auf ihnen wachsenden
Pflanzen, geht mit der Rodung auch die Speicherfunktion des
Ökosystems verloren. Wälder sind zudem für den Wasserkreislauf
unersetzlich. Durch ihre Vernichtung breiten sich Wüsten an
eigentlich feuchten Orten aus, etwa an der Elfenbeinküste. Unter
anderem durch diese Zerstörung verlieren jedes Jahr bis zu 50 000
Tier- und Pflanzenarten ihren Lebensraum – und sterben aus.
Auf Madagaskar ist
die Situation besonders dramatisch. Die Bevölkerung hat sich binnen
50 Jahren auf 21 Millionen Menschen vervierfacht. Das Land hat den
höchsten Pro-Kopf-Reisverbrauch der Welt. Und weil Reispflanzen viel
Platz brauchen, wird entwaldete Fläche sofort in Beschlag genommen.
Dazu treiben Siedler oft Kühe auf die kahl geschlagenen Gebiete, die
jeden Regenerationsversuch des Walds wegfressen, so lange, bis der
Boden keine Kraft mehr hat. Ein gerodetes Stück Regenwald bleibt
noch drei Jahre produktiv, dann ist es ausgelaugt, die Siedler müssen
tiefer in den Wald – und können darauf vertrauen, dass die
Holzfäller ihnen längst die nächste Anbaufläche frei geschlagen
haben.
All das geschieht
auf einem der artenreichsten Flecken der Erde. 90 Prozent aller auf
Madagaskar vorkommenden Lebewesen sind endemisch, es gibt sie nur
dort. Der Masoala-Nationalpark wiederum ist die artenreichste Region
der Insel, die Arche Noah auf der Arche Noah. Jeden Tag werden hier
etwa zehn Hektar zerstört. Wenn sich das nicht ändert, ist der
Regenwald des Nationalparks in 60 Jahren verschwunden.
Aus dem verkohlten
Boden ragen die Schilder auf, auf denen die Parkbehörde verspricht,
sich um diesen Wald zu kümmern.
Auf einmal türmt
sich eine Wand von Wald vor uns auf. Wir haben den Rand der Rodung
erreicht.
„Wird
hier das Holz für Roger Thunam geschlagen?“
„Noch
nicht“, sagt einer der Männer. Er trägt eine Baseballkappe von
der letzten Fußball-EM, „Hopp Schwiiz“ steht darauf unter dem
Schweizerkreuz. „Wenn wir zum Camp wollen, müssen wir viel weiter
rein.“
„Hilft
ja nichts“, sagt Bismarck. In Wahrheit brennt er darauf, tief in
den Nationalpark vorzudringen, um zu dokumentieren, dass Roger Thunam
tatsächlich an Orten schlagen lässt, wo keine Ausnahmegenehmigung
dies rechtfertigen kann. Doch der Ermittler will sich seine Euphorie
nicht anmerken lassen: Mit missmutiger Miene läuft er los.
50 Kilometer in drei
Tagen, das klingt machbar. Es wird aber zur harten Prüfung für
Ungeübte, wenn der Weg durchs Dickicht erst mit der Machete in das
Grün geschlagen werden muss.
Äste schlagen auf
den Körper, Lianen halten die Beine fest, Tiere die nicht zu sehen
sind, stechen von allen Seiten zu. Dann das erste Schlammloch. Es
geht bis zu den Knien, und es fühlt sich an, als ob jemand die Beine
von unten festhält. Meine Schuhe bleiben einfach unten – zum Glück
habe ich ein zweites Paar dabei.
Wir besteigen
Wasserfälle, überqueren reißende Bäche auf Baumstämmen. Und wenn
der Fluss zu breit ist, dann mittendurch, Wasser bis zum Kinn,
Rucksack auf dem Kopf. „Das war Teil meines Trainings bei den
Marines“, sagt von Bismarck lapidar. Auch Fotograf Smith hat eine
Armee-Ausbildung. Ich aber werde in einem Fluss umgerissen und
etliche Meter abgetrieben, die Hälfte meiner Ausrüstung treibt in
Richtung Indischer Ozean. Unsere Begleiter lachen. Für die Tarnung
ist das gar nicht schlecht – schließlich bin ich ein feinsinniger
Gitarrenbauer.
Das Wetter wechselt
zwischen Extremen. Auf sengende Sonne folgt Regen, so heftig, als
wolle er das Hochland frei spülen von Wald und Erde, von Tieren und
Menschen. Ohne Regenponcho ist man in Sekunden durchnässt. Mit
Poncho auch, vom Schweiß. Und irgendwann ist jede Kraft
aufgebraucht. Die Füße sind wund, die Haut ist aufgescheuert.
„Hier
ist das Bett“, sagt der Führer mit der Machete und zeigt
irgendwohin, auf den Boden. „Sieht doch gut aus, oder?“
18 Uhr, es dämmert.
18.10 Uhr, es ist stockdunkel.
Noch zwei Tage bis
zum Camp.
Es ist 5 Uhr, es
dämmert. Um 5.10 Uhr ist es taghell. Eine Machete wirbelt durch die
Luft, zerschneidet das Gestrüpp hinter dem Lager. „War nur ein
Vogel“, brummt einer der Führer. Er hatte gehofft, einen Lemuren
zu erlegen. „Die sind das Beste.“ Er schnalzt mit der Zunge.
Lemuren, eine mehr
als 100 Arten starke Gruppe von Halbaffen, haben nur auf Madagas-
kar überlebt, weil
ihnen hier bis vor Kurzem keine Primaten den Lebensraum streitig
gemacht haben. Sie zu fangen, sagt der Mann mit der Machete, sei beim
Holzfällen quasi eine Selbstverständlichkeit. Man müsse bloß auf
einem gerodeten Waldstück zwei Bäume stehen lassen, damit die Tiere
sie als Waldbrücke über die Freifläche erkennen. „Dann stellt
man sich unten hin und kann sie mit der Machete abwerfen.“ Das
Messer wirbelt in seiner Hand. „Ganz leicht“, sagt er.
Bismarck kann es
nicht lassen: „Weißt du, dass es Lemuren bald nicht mehr geben
wird?“
„Es
gibt nichts mehr zu sagen“, sagt Thunams Mitarbeiter mürrisch,
lässt die Machete von Hand zu Hand wechseln und redet dann doch
weiter. Es gebe so viele Lemuren, dass man sie gar nicht alle essen
könne. „Das ist gut, denn den Rest kann man verkaufen.“
An
wen? „Chinesen“.
Die Asiaten sind
nicht nur bei weitem größter Holzkäufer in Madagaskar – sie
kaufen ihre Delikatessen gleich dazu.
Von Bismarck ist
chinesischen Händlern in vielen Ländern begegnet. China importiert
60 Prozent allen tropischen Holzes. Allein die Lieferungen von
Tropenholzprodukten aus China in die USA und die EU sind binnen zehn
Jahren um fast 1000 Prozent gestiegen. Ob das Holz aus dubiosen
Quellen stammt, ist nach dem Umweg über Asien besonders schwer
nachzuweisen.
Noch ein Fluss, noch
mehr Schlammlöcher, noch eine Nacht im Dreck – und ein Skorpion in
meiner Unterhose. Dann, endlich, hinter einem besonders tiefen Fluss,
kommt das Lager in Sicht.
Machetenmänner
stehen am Ufer, starren feindselig. Drei Weiße! Argwöhnisches
Murmeln. Auf Rat des Dolmetschers halten wir Abstand. „Ich kläre
das“, sagt er und verschwindet.
Nach endlosen
Minuten kommt er zurück. „Sie hatten Angst, dass du ein Agent
bist“, sagt er zu Alexander von Bismarck. „Ein Umweltschützer,
der spionieren will.“ Er habe die Männer aber beruhigen können.
Bismarck lässt
seinen Blick über das Camp schweifen. Hütten aus Blättern,
geschützt mit Planen, auf denen das Logo der staatlichen
Hilfsorganisation der USA gedruckt ist: USAID. Am Flussufer dümpeln
schwere schwarze Stämme. Wir zählen 80 Stück. Ständig werden
Bäume abgeflößt, ständig ziehen Männer neues Holz aus dem Wald
an Seilen heran. Das Holz ist bereits geschält, auf den Stämmen
sind Markierungen: Jede Holzfällercrew hat ihr Zeichen, an dem der
Aufseher die Tagesleistung erkennt.
Bismarck schaltet
das GPS-Gerät ein. Wir sind im Nationalpark. Darf er sich darüber
freuen? Weil es nun bewiesen ist? Er atmet durch und macht sich an
die Arbeit. „Thomas Bolton, hallo“, sagt er, nickt jedem zu,
schüttelt alle Hände, plaudert sich durchs Camp. Die Geschichte vom
abgetriebenen Gitarrenbauer macht die Runde. Smalltalk: „Meine
Güte, was macht ihr denn hier draußen, wenn ihr gerade kein Holz
schlagt?“, fragt Bismarck.
„Massage“.
Die Masseurin sieht
aus, wie man eben aussieht, wenn man den Launen von vierzig Männern
ausgeliefert ist. Sie verkauft auch Pillen, die nach Farben sortiert
sind. Die Käufer suchen aus, welche sie am schönsten finden, und
hoffen, dass sie helfen.
In der Hand hält
Bismarck ein Aufnahmegerät, völlig entspannt, als gehöre das zu
einem Gespräch im Wald einfach dazu. „Wenn man offensichtlich
etwas mitschneidet“, sagt er leise, „erweckt man am wenigsten
Verdacht.“
Manchmal geht das
Gespräch ins Detail: „400 Dollar für zwei Wochen Arbeit“, sagt
ein Arbeiter. Er habe zwei Kinder in der Stadt. Er wisse, dass seine
Arbeit illegal sei, und das gefalle ihm nicht. Er wolle es einfach
hinter sich bringen. Er erzählt, dass die Holzfäller erst Geld
erhielten, wenn die Stämme außer Landes seien. Ein kluger Zug der
Holzlobby: Falls die Behörden ein Exportverbot ernsthaft durchsetzen
wollen, müssen sich die Beamten der Wut der Arbeiter stellen.
Eigentlich sei
Rosenholz ohnehin totes Holz, sagt ein anderer Fäller. Es wachse
zwar, aber irgendwie anders, und es werde nicht besonders groß, man
könne es ruhig abhacken. „Okay, zugegeben, wenn man das Holz aus
dem Park zieht, geht viel kaputt.“
Das lässt sich
nicht leugnen: Weil Rosenholz eine größere Dichte hat als Wasser,
werden fünf Stämme aus anderem Holz um jeden Stamm gebunden, um den
Auftrieb zu erhöhen. Sie werden später weggeworfen.
Aber woher, will
„Thomas C. Bolton“ jetzt wissen, kommt das Holz denn nun genau?
Einen weiteren
Tagesmarsch entfernt laufen wir durch die zerhackten Stümpfe von
Eben- und Rosenholz. Wenn Rosenholz geschlagen wird, spritzt roter
Saft aus dem Baum. Der Boden sieht aus, als sei er blutverkrustet.
Der Mann mit der
„Hopp Schwiiz“-Mütze hat unsere Wanderung begleitet. Mit Stolz
in der Stimme sagt er: „Hier ernten wir für Roger Thunam. Dieses
Holz können Sie bei ihm kaufen.“
Dies also ist –
endlich! – der Anfangspunkt einer Handelskette, die über den Hafen
von Vohémar führt, wo Leute wie „James Bond“ die Zollbehörde
leiten; über Zwischenhändler, die gleichgültig oder ahnungslos den
Waldplünderern ihre Waren abnehmen, bis nach China. Oder in die USA,
wo Gitarrenbauer und Tischler all das offenbar nicht wissen wollen.
Im August 2009 haben
Experten des World Wide Fund for Nature (WWF) Rosenholzbestände in
Westen und Nordosten Madagaskars untersucht. Sie fanden noch sechs
verschiedene Arten – von ehemals 15. Keiner der Bäume hatte einen
Durchmesser von mehr als 30 Zentimetern. Für Gitarrengriffe genügt
das allemal.
Von Bismarck nickt,
starr und versunken, als habe er den Glauben daran verloren, dass die
letzten Urwälder gerettet werden können. Nach einer Minute kommt
die Zuversicht zurück. Er beginnt zu filmen, läuft zwischen den
Stämmen hin und her, fährt mit den Fingern über Schnittkanten. Er
tut wieder das, was er unablässig tut: Beweise sammeln, die im
Idealfall eine Anklage nach dem Lacey Act ermöglichen.
Er steht zwischen
den Stämmen, in der Mitte einer neuen Lichtung. Von links ist das
Rascheln des Waldes zu hören, von rechts dröhnt das Rufen der
Holzfäller heran. Alexander von Bismarck legt den Kopf nach links
und schließt die Augen.
Drei Wochen später,
im Winter 2009, stürmen Beamte des US-Innenministeriums eine Fabrik
des Gitarrenbauers Gibson in Tennessee und beschlagnahmen Rechner und
Akten. Anlass sind unter anderem die Beweise, die Alexander von
Bismarck in Madagaskar gesammelt hat. Der Firma wird vorgeworfen, via
Theodor Nagel in Hamburg Ebenholz in die USA eingeführt und damit
möglicherweise gegen den Lacey Act verstoßen zu haben.
Gibson
veröffentlicht eine Pressemitteilung. Man nehme die Zertifizierung
von Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern ernst. Und: „Gibson
bezieht Holz von Händlern, die sich an die Regeln halten.“
Unerwähnt bleibt,
dass das Nachhaltigkeits-Zertifikat der Organisation Rainforest
Alliance, mit dem Gibson sich schmückt, sich nur auf spezielle
Holzarten bezieht – insbesondere auf Mahagoni aus Südamerika. Für
madagassisches Holz hat die Firma kein Zertifikat. Darauf weist die
Rainforest Alliance kurz nach der Durchsuchung in einer eigenen
Erklärung hin.
Henry Juszkiewicz,
Chef der Gitarrenfirma, legt seinen Sitz im Vorstand der Rainforest
Alliance vorerst nieder.
Im US-Bundesstaat
Connecticut dürfte derweil der Partner von Nagel, der das Holz des
Hamburger Händlers in den USA vertreibt, Post von den Justizbehörden
bekommen haben. Dann müsste er Informationen über
Madagaskar-Lieferungen an die Ermittler übergeben.
Erst nach Sichtung
der Unterlagen werden die Beamten -entscheiden, ob ein Prozess
angestrengt wird. Beschuldigt werden könnte in diesem Fall nicht nur
der Käufer Gibson – sondern laut Lacey Act auch die Firma -Nagel,
falls sie nachweislich an einem in den USA illegalen Geschäft
beteiligt war.
Die Hamburger
Händler sehen das gelassen: „Wir wissen nicht, was der Auslöser
für die Vorwürfe gegen die Firma Gibson ist. Unsere Holzimporte aus
Madagaskar erfolgten zu jeder Zeit in Übereinstimmung mit der
nationalen madagassischen Gesetzgebung“, erklärt Geschäftsführer
Dieter Krauth. „Unser Leitmotiv ist ein respektvoller und
nachhaltiger Umgang mit Holz. Regelmäßige Prüfungen der Dokumente
und des Rundholzbestandes unseres Lieferanten seitens der Forst- und
Zollbehörden bestätigen uns die Legalität seines Holzes.“
Die Ermittler der
EIA wollen dennoch beweisen, dass Roger Thunam illegales Holz
verkauft. Das ist schwierig: Wie schätzt man in einem Land wie
Madagaskar die Glaubwürdigkeit von „Sondergenehmigungen“ und
Prüfdokumenten ein? Wie kann man beweisen, dass in Madagaskar nicht
einmal die Behörden verhindern können, dass Exporteure das
„Drehtürprinzip“ einsetzen, um möglicherweise legale Verkäufe
von „altem“ Holz in ihrem Lager heimlich durch illegal
geschlagene frische Ware ersetzen? Welche Handlung kann wann und wie
gerichtsfest als „illegal“ bezeichnet werden?
Immerhin ist eine
Analyse der oft widersprüchlichen Dekrete, Verordnungen und Gesetze
Madagaskars, die in Zusammenarbeit mit den dortigen Forstbehörden
erarbeitet wurde, zu dem Schluss gekommen: So gut wie alle
Holzexporte aus dem Land verletzen seit 2006 das geltende Recht.
„Und
am Ende“, so Alexander von Bismarck, „geht es auch um die Frage,
ob ein langjähriger Handelspartner eines Holzhändlers wie Thunam
tatsächlich nicht bemerkt haben kann, was wir binnen einer einzigen
Woche herausgefunden haben: dass Roger Thunam auch im Nationalpark
Holz schlagen lässt. Was ohne jeden Zweifel illegal ist.“
Verhaftet wird wenig
später Roger Thunam, den die madagassische Polizei in Antananarivo
festnimmt. Er kommt nach zwei Tagen wieder frei.
Alexander von
Bismarck sitzt in seinem Washingtoner Büro und wartet. Darauf, dass
er seine Erkenntnisse aus Madagaskar vor Gericht präsentieren darf.
Gibson könnte die erste Firma sein, die nach dem Lacey Act angeklagt
wird. Sie soll nicht die letzte sein. Und so wartet er, kurzfristig,
darauf, dass das Telefon klingelt: Ein Informant hat Daten über
Raubholz aus Afghanistan versprochen.
Am 31. Dezember 2009
verlängerte der Ministerpräsident von Madagaskar ein Dekret, das
den Export von unverarbeitetem Rosen- und Ebenholz erlaubt. Wieder
ein Manöver, das den Exporteuren Spielraum für Winkelzüge gibt.
Umweltschützer fürchten eine Beschleunigung des Raubbaus. Ob und
wie US-Gerichte dieses Gesetz einer international isolierten
Putschregierung bei Anklagen nach dem Lacey Act berücksichtigen,
bleibt abzuwarten.
Das Telefon
klingelt. Von Bismarck schnellt vor, hebt ab. Afghanistan? Nein. Die
ehemalige irakische Umweltministerin will ihn treffen, jetzt sofort,
wichtige Informationen, er muss los. Alexander von Bismarck nimmt
seine Jacke und verlässt den Raum, ohne sich zu verabschieden, in
Gedanken längst mit dem Baumbestand zwischen Euphrat und Tigris
beschäftigt. Es geht weiter.
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